Interview, 15.04.2021 auf fundplat.com
Herr Haas, Sie kennen viele Manager. Wie geht es ihnen im Moment?
Eine allgemeine Aussage kann ich hierzu nicht geben. Dies hängt wohl zum einen ganz simpel von der Branche ab, in der man tätig ist und der damit aktuell verbundenen wirtschaftlichen Situation. Fakt ist aber natürlich, dass sich die ganze Welt seit über einem Jahr in einer Pandemie befindet, und wir alle teilen uns diese Welt. Aus diesem Grund ist das derzeitige Umfeld wohl für jeden in seiner persönlichen Art und Weise anspruchsvoll. Letztlich habe ich ein Zitat gelesen, welches hiess: «A Leader is a Dealer of Hope» und dies ist bestimmt eine ganz wichtige Eigenschaft für jeden Manager und Leader im aktuellen Umfeld.
Sehen Sie eine Veränderung im Vergleich zum Anfang der Krise?
Im Vergleich zum Beginn der Krise vor einem Jahr, als wir alle aus unserem «geregelten» Setting gerissen wurden und die ganze Welt praktisch nur von Tag zu Tag agierte, ist die Krise zwischenzeitlich zum «normalen» konstanten Begleiter geworden. Dennoch machen sich aber zwischenzeitlich ganz klare Ermüdungsmerkmale breit. Dies zeigt sich zum Beispiel im Bereich der Unternehmenskultur. So hat die Krise zu Beginn Teams noch enger zusammengeschweisst. Zwischenzeitlich — nach über einem Jahr Covid — hat sich dies aber auch in vielen Organisationen gedreht. Daran hat keiner Schuld. Wir Menschen sind Social Animals und zwischenmenschliche Interaktionen benötigen wir für unser Wohlempfinden. Gemeinsam Ziele erreichen, sich challengen und physisch sehen — in solch einem Setting schütten wir Endorphine aus und dies steigert unser Wohlempfinden und dies ist ein Grundpfeiler für berufliche wie auch private Erfüllung und Erfolg.
Wie kommt es, dass es Menschen gibt, die mit Krisensituationen deutlich besser als andere umgehen können?
Das ist eine gute Frage. Wie es vermutlich Menschen gibt, welche eine starke Grundkonstitution für Spitzensport mitbringen, gibt es wahrscheinlich auch Menschen, die ein sehr starkes Resilienz-Niveau mit auf den Weg bekommen haben und so in Krisen dann genau die Leadership-Qualitäten beweisen, welche wir als Follower in dem Moment benötigen. Ein spannendes Buch hierzu ist «Discover Your True North» von Bill George. In dem Buch werden u.a. Lebensereignisse von Top-Leadern analysiert, dies bis zur Kindheit. Häufig sind hier Muster zu beobachten, dass dies Personen sind, welche zum Beispiel schon früh in der Kindheit anspruchsvolle Fragestellungen im Leben zu klären hatten und dadurch bereits früh klare Werte und Überzeugungen für ihr Leben definiert haben.
Kann man dies lernen oder ist das ein Geschenk bei der Geburt?
Ganz vieles kann man meiner Meinung nach lernen. Aber dafür braucht es vor allem auch die richtigen Vorbilder. Von denen haben wir meiner Meinung nach zu wenig. Menschen in Organisationen, welche eine authentische Kultur vorgelebt bekommen sowie echte Werte und Überzeugungen gelten, erhalten so ganz viel, um dann in Stresssituationen selber stark zu bleiben. «Psychological safety» ist da so ein Buzzword — oder im Idealfall eben kein Buzzword, wenn dies wirklich gelebt wird. Eigentlich ein absoluter USP für jedes Unternehmen, aber nur sehr selten anzutreffen.
Was machen Sie selbst ganz konkret — können Sie einen kostenlosen Tipp geben?
Ganz wichtig scheint mir das Verständnis der eigenen Emotionen und nicht auf Autopilot zu gehen. Sich zu fragen, warum fühle ich mich gerade so, was hat dies zu bedeuten und was muss ich ändern, wenn es mir nicht gut geht, damit es mir besser geht. Für mich noch klarer wurde im letzten Jahr, dass ich mein Leben noch mehr als Gestalter und nicht als Erwartungserfüller lebe. Das Check-in mit sich selber, vor allem für Manager und Leader in diesen Zeiten, scheint mir extrem wichtig. Gerade jetzt müssen Leader stark für ihr Umfeld zur Verfügung stehen. Damit ich für andere aber verfügbar sein kann, muss es mir auch gut gehen. Dies aber nicht zu verwechseln mit dem Ansatz: Me, Myself and I. Sehr spannend hierzu die Frage für sich ganz ehrlich zu klären ist, ob ich ein Karrierist bin oder ein Leader. Beides ist wertfrei, aber viele meinen das eine, agieren aber nach dem anderen.
Wenn dann das Leben dann doch wieder einmal anspruchsvolle Themen bereithält, könnte man vielleicht noch folgendes Zitat von Bertrand Russell beherzigen: «If you think that what you are doing is very important, you need to take a holiday. You must take a holiday from your seriousness. Seriousness comes essentially from your self-importance.»